14 Kultureinrichtungen in Stuttgarts Zentrum feiern am 9. Juni das Nachbarschaftsfest „Geteilte Zeit“. Mit welchen Zielen? Wir haben nachgefragt bei Landesbibliothekschef Rupert Schaab.

Insgesamt 14 Kultureinrichtungen von der Staatsgalerie über die Landesbibliothek und Kunstmuseum bis hin zu den Staatstheater-Spielstätten unter dem Titel „Geteilte Zeit“ machen am 9. Juni Stuttgarts Zentrum zur Nachbarschaftsfestbühne. Was ist das Ziel des Schulterschlusses? Und warum gerade am Wahlsonntag? Rupert Schaab, Direktor der Württembergischen Landesbibliothek, spricht von einem „besonderen Feiertag“.

 

Herr Schaab, „Geteilte Zeit“ heißt die neue Ausstellung in Ihrem Haus. „Geteilte Zeit“ heißt nun auch das große Nachbarschaftsfest der Kultur. Was verbinden Sie persönlich mit geteilter Zeit?

Glück. Die meisten erleben die gegenwärtigen Herausforderungen als stressigen Umbruch. Das Internet verbindet uns mit der ganzen Welt, führt viele aber zugleich in die Einsamkeit. Die Zeit in die eigenen Hände zu nehmen und sie mit anderen zu verbringen ist vermutlich das beste Gegenmittel. Was waren wir nicht euphorisch, als die Beschränkungen der Pandemie endlich fielen!

Und auch solche Gefühle sind Thema der Ausstellung?

Gefühle lassen sich schwer ausstellen, aber die Findigkeit der Menschen, Zeit gemeinsam zu verbringen, schon. Die Ausstellung „Geteilte Zeit“ zeigt, dass Gesellschaften aus sich heraus ein enormes Gestaltungspotenzial haben. Ich finde das beglückend. Das können wir nutzen. Beispielsweise indem wir uns von dem ein oder anderen Zeitgebrauch in der Ausstellung für das eigene Leben anregen lassen. Kultur besucht man deshalb am besten gemeinsam.

Konkret wird „Geteilte Zeit“ an diesem Sonntag beim Nachbarschaftsfest von 14 Kultureinrichtungen. Ist das Datum Zufall? Erst wählen, dann feiern?

Ich weiß nicht, ob es allen bewusst war, aber natürlich passt es bestens zusammen. Wenn wir die großen Probleme nur gemeinsam lösen können, müssen wir gemeinsam streiten und gemeinsam feiern. Ein Wahltag ist für mich ein besonderer Feiertag, auch wenn man in den Kultureinrichtungen tagein, tagaus die erstaunlichsten künstlerischen Leistungen aus aller Zeiten und der ganzen Welt feiern kann.

Stärker als bei der Premiere vor einem Jahr betont das Nachbarschaftsfest nun den Gedanken eines ständigen Austauschs. Ist das Absicht?

Ich bin ja noch gar nicht lange in Stuttgart und kann die Sorge vor einem zu geringen Austausch nicht ganz verstehen. Natürlich ist es kurios, dass die nebeneinanderliegende Landesbibliothek und das Hauptstaatsarchiv im selben Jahr unabhängig voneinander auf die Idee einer Ausstellung zum Elsass kamen. Aber es zeugt davon, dass uns ähnliche Themen bewegen und wir haben es früh bemerkt. Die große Aufmerksamkeit für aktuelle Entwicklungen (in diesem Fall die Irritationen im deutsch-französischen Verhältnis) führen dazu, dass wir über die richtigen Themen zur Zusammenarbeit finden. Diese Haltung hilft uns mehr als ein institutionelles Korsett. Und diese Haltung garantiert uns auch eine große Vielfalt.

Es gibt nichts zu verbessern?

Wo es hakt, sind vor allem die Strukturen außerhalb der Kultureinrichtungen, welche banale Dinge wie eine gute Beschilderung des Kulturquartiers oder eine stärkere überregionale Bekanntheit erschweren, aber natürlich auch ganz dicke Bretter wie die Stadtautobahn durch das Kulturquartier.

Noch einmal zum Schulterschluss: Dass Sie alle bereits interagieren, hören wir schon länger. Wie groß ist die Chance, dass man dies in Stuttgart auch anhaltend spürt?

Vielleicht sollten wir einfach mehr darüber reden. Auf der Fachebene der Häuser passiert ja viel mehr, als man von Außen wahrnimmt. Bei diesem Fest rücken wir die vielfach übersehenen Aktivitäten unserer Fördervereine in den Blick. Elf Vereine mit etwa 15000 Mitgliedern. Das finden Sie so geballt in keiner anderen deutschen Stadt.

Wird dies für Sie auch spürbar?

Das wirkt zurück auf die Ausrichtung unserer Häuser. Dieses kulturliebende Publikum stellt ein enormes Band zwischen unseren Häusern dar. Es liegt ein wenig an der hiesigen Mentalität, nicht viel Aufheben um sein Engagement zu machen. Dies ist mir durchaus sympathisch. Etwas mehr gemeinsam feiern, wäre mir aber schon recht.

Und spüren Sie auf diesem Weg Unterstützung durch die Politik?

Ja. Nur darüber reden wäre zu wenig. Wir müssen das Miteinander auch feiern. Und da hat uns schon im vergangenen Jahr die Politik geholfen. Vermutlich war die größere Aufmerksamkeit für die Häuser das Anliegen der Politik, sie fördert damit aber das ungezwungene Ausprobieren: das Ausprobieren der Kultur und das Ausprobieren der Gemeinschaft, die sie stiftet. Stuttgart ohne das Kulturquartier mit seiner bemerkenswerten Verankerung in der Gesellschaft wäre ziemlich gesichtslos. Und für die ganz dicken Bretter kann Kultur den Möglichkeitssinn schärfen, die Debatten aber nicht alleine führen. Vor einem breiten und stabilen Konsens steht die geteilte Zeit des Streitens und des Feierns.

Ausbildung
Rupert Schaab wurde 1962 in Heidelberg geboren. Nach dem Studium der Geschichte, Germanistik, Philosophie und der Historischen Hilfswissenschaften in Bonn promovierte er 1998 mit einer Arbeit über das Kloster Sankt Gallen im Frühmittelalter.

Laufbahn
Im Anschluss an die Laufbahnprüfung für den höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken war er ab 1996 in der Universitätsbibliothek Erfurt tätig und übernahm 1999 die Funktion des stellvertretenden Direktors der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt-Gotha, mit der auch die Leitung der Forschungsbibliothek Gotha verbunden war. 2005 wechselte er als stellvertretender Direktor an die Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, seit 2017 war er dort für die Gesamtleitung der Fachreferate verantwortlich. Seit 1. Juni 2019 ist Rupert Schaab Leitender Bibliotheksdirektor der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart.

Landesbibliothek
Mit einem Bestand von mehr als sechs Millionen Medieneinheiten ist die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart (Konrad-Adenauer-Straße 8) die größte wissenschaftliche Bibliothek in Baden-Württemberg. Stadtbildprägend ist der am 5. Oktober 2020 eröffnete Anbau nach Plänen des Stuttgarter Architekturbüros Lederer Ragnarsdóttir Oei.