Nicht nur Vögel, auch Insekten ziehen auf der Flucht vor dem Winter in den warmen Süden. Nur sind die winzigen Wesen hoch oben in der Luft meist nicht zu erkennen. Forscher haben ihnen nun dort aufgelauert, wo sie dicht am Boden bleiben müssen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

An einem Gebirgspass in den Pyrenäen spielt sich alljährlich ein beeindruckendes Schauspiel ab: Geschätzt mehr als 17 Millionen Insekten wandern im Herbst durch eine gerade mal 30 Meter breite Lücke zwischen zwei Gipfeln an der französisch-spanischen Grenze, wie ein Forschungsteam im Fachjournal „Proceedings B“ der britischen Royal Society berichtet.

 

„Eines der großen Wunder der Natur

„So viele Insekten zu sehen, die sich alle gleichzeitig zielstrebig in dieselbe Richtung bewegen, ist wirklich eines der großen Wunder der Natur“, sagt Mitautor Karl Wotton von der University of Exeter.

Viele der gen Süden ziehenden Insekten am Puerto de Bujaruelo sind der Analyse zufolge bekannte Gartenbewohner wie die Hainschwebfliege (Episyrphus balteatus), der Kohlweißling (Pieris rapae), die Augenfliege (Musca autumnalis) oder winzige, kaum drei Millimeter lange Grasfliegen (Chloropidae).

Mehr als 17 Millionen Insekten wandern im Herbst durch die 30 Meter niedriger liegende Lücke zwischen zwei Gipfeln an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien gen Süden. Foto: University of Exeter/Will Hawkes/dpa
Beliebt ist der Port de Boucharo nicht nur bei Insekten: Auch viel besuchte Wanderwege führen dort entlang. Foto: University of Exeter/Will Hawkes/dpa

Der Puerto de Bujaruelo (spanisch) – auf französisch Port de Boucharo genannt – liegt rund 2270 Meter hoch und ist einer der vielen Pässen in dieser entlegenen Gebirgsregion. Beliebt ist er nicht nur bei Insekten, auch viel besuchte Wanderwege führen dort entlang.

„Es war magisch“, berichtet Studienleiter Will Hawkes von der University of Exeter. „Wenn ich mein Netz durch die scheinbar leere Luft schwang, war es voller winziger Fliegen, die sich alle auf dieser unglaublich großen Wanderung befanden.“

Milliarden Insekten passieren die Pyrenäen

Die Ergebnisse für diesen einen Pass deuten demnach darauf hin, dass jedes Jahr Insekten im zweistelligen Milliardenbereich die Pyrenäen überqueren und bis nach Spanien, teils gar bis nach Afrika weiterziehen.

„Diese wandernden Insekten, insbesondere die Fliegen, sind von enormer Bedeutung für unseren Planeten“, teilt die University of Exeter mit. Fast 90 Prozent der erfassten Insekten seien Bestäuber und transportierten mit ihrer Wanderung genetisches Material über große Entfernungen zwischen Pflanzenpopulationen, was die Pflanzengesundheit verbessere.

Etwa 90 Prozent der über vier Jahre hinweg im Herbst erfassten Insekten waren Fliegen. Foto: University of Exeter/Will Hawkes/dpa

Klimawandel setzt den Tieren zu

Im Zuge des Klimawandels sei allerdings mit einer stetig zurückgehenden Zahl ziehender Insekten zu rechnen, heißt es weiter. Mit engagiertem Umwelt- und Klimaschutz seien allerdings wieder positive Entwicklungen möglich. „Insekten sind widerstandsfähig und können sich schnell wieder erholen“, betont Hawkes.

Das Forscherteam nutzte aus, dass sich die tagsüber ziehenden Insekten bei bestimmten Windverhältnissen niedrig über dem Pass halten und gut gezählt werden können. „Die Kombination aus hoch gelegenen Bergen und Windmustern macht aus einer normalerweise unsichtbaren Höhenwanderung ein vom Boden aus zu beobachtendes Spektakel“, erläutert Wotton.

Etwa 90 Prozent der über vier Jahre hinweg im Herbst erfassten Insekten waren Fliegen. Bekannte Wanderinsekten wie Schmetterlinge und Libellen machten weniger als zwei Prozent der Gesamtmenge aus, wie das Team berichtet.

Bekannte Gartenbewohner wie die Hainschwebfliege fliegen über die Gebirgskette. Foto: Imago/Panthermedia
Der Klimawandel setzt auch den Fluginsekten zu. Foto: Imago/Panthermedia

Spektakel wurde zufällig entdeckt

Schon vor mehr als 70 Jahren, im Oktober 1950, hätten zwei Biologen – die Vogelkundler Elizabeth und David Lack – vom unglaublichen Spektakel der Insektenwanderung am Puerto de Bujaruelo berichtet, erzählt Hawkes. Der damals zufällig entdeckte Zug von Schwebfliegen und anderen Insekten vom Norden in den Süden sei der erste aufgezeichnete Fall von Fliegen-Migration in Europa gewesen.

Das Team sei nun zum selben Pass aufgebrochen, um zu sehen, ob diese Migration immer noch stattfindet, und um Anzahl und Arten zu bestimmen. Dabei setzten die Forscher auf Aufnahmen einer Videokamera, die gezielte Beobachtung von Schmetterlingen sowie eine Flugabfangfalle. Hawkes: „Was wir gefunden haben, war wirklich bemerkenswert.“

Vor einigen Jahrzehnten war die Zahl der Insekten, die unterwegs waren, noch um ein Vielfaches höher. Foto: Imago/Panthermedia

3000 Individuen pro Meter und Minute

Noch immer sei die Zahl dort ziehender Schwebfliegen wie der Gemeinen Feldschwebfliege (Eupeodes corollae) enorm groß. „Es gab Tage, an denen die Zahl der Fliegen weit über 3000 Individuen pro Meter und Minute lag.“

Studien aus anderen Regionen Europas zeigten allerdings einen drastischen Rückgang der Zahl der Wanderschwebfliegen um teils mehr als 90 Prozent seit 1970. Daher sei auch für den Pass davon auszugehen, dass dort vor Jahrzehnten noch ein Vielfaches an Insekten unterwegs war.