Hunderttausende Menschen treten jedes Jahr aus der evangelischen und katholischen Kirche aus, trotzdem bekommen sie weiterhin hunderte Millionen Euro vom Staat. Die Ampel-Koalition will diese Leistungen ablösen. Doch das ist gar nicht so einfach.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Soviel Einmütigkeit ist selten im Deutschen Bundestag: Die staatlichen Millionenzahlungen an die beiden großen Kirchen in Deutschland sind in einer Zeit, in der Hunderttausende pro Jahr den Institutionen den Rücken zukehren, nur noch schwer vermittelbar. So lautet die weitgehend einhellige Meinung in den Fraktionen der Regierungsparteien SPD, Grüne, FDP und in der Opposition bei Unionsfraktion und AfD.

 

Im Jahr 2023 traten 402 700 Personen aus der Katholischen Kirche (2022: 522 821) und 380 000 Personen aus der Evangelischen Kirche (2022: 380 000) aus.

Staatsleistungen für Enteignung von Kirchen und Klöstern

Die Kirchen in Deutschland bekommen diese Staatsleistungen für die Enteignung deutscher Kirchen und Klöster zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Säkularisierung. Außer Hamburg und Bremen zahlen deshalb alle Bundesländer eine jährliche Summe an die katholische und die evangelische Kirche.

Das ist über jeweilige Verträge – wie beispielsweise das bayerische Konkordat geregelt. Zuletzt waren es bundesweit insgesamt rund 550 Millionen Euro pro Jahr.

Auch Ausgetretene zahlen weiter für Kirchen

Durch diese Staatsleistungen zahlen auch diejenigen Steuerzahler für Glaubensgemeinschaften, die damit gar nichts zu tun haben. Und das werden Jahr für Jahr mehr.

In der vergangenen Woche erst zeigte sich so mancher Bischof erleichtert darüber, dass 2023 „nur“ 402 700 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten sind – und nicht wieder mehr als eine halbe Million wie im Jahr davor.

Im Raum steht daher schon seit Jahren eine „Ablösung“ der jährlichen Zahlungen durch eine Milliardensumme. Doch das genaue Vorgehen und die angepeilte Entschädigungssumme für die Kirchen sorgen für Kopfzerbrechen.

Wer den Antrag auf Kirchenaustritt stellt, tritt genau genommen nur aus der Kirchensteuer-Gemeinschaft aus Foto: dpa/Ingo Wagner

Ablösung von Geldzahlungen an Kirchen ist Verfassungsauftrag

Obwohl auch die Kirchen sich einer Ablösung nicht verschließen, geht es daher mit dem Vorhaben der Bundesregierung, Staat und Kirche finanziell zu entzerren – ein Verfassungsauftrag – nicht so wirklich voran.

Das Bundesinnenministerium hatte 2022 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die nach Angaben eines Ministeriumssprechers bis Januar 2023 regelmäßig tagte – also schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr. „Die zentralen Fragen der Ablösung, unter anderem die Frage der Höhe des Ablösebetrags, werden weiterhin auf politischer Ebene erörtert“, teilt der Sprecher mit

Das Problem: In den Bundesländern regt sich teils massiver Widerstand. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte erst kürzlich die Diskussion um die Staatsleistungen komplett zu beenden. Er wolle, „dass das endgültig auf Eis gelegt wird“, so Söder. Das sähen auch die meisten seiner Ministerpräsidentenkollegen so.

Söder befürchtet „Kulturkampf“

Söder befürchte einen „Kulturkampf“, wenn es eine Milliardenzahlung an die großen Kirchen in Deutschland geben sollte. „Es würde eine unglaubliche Neiddiskussion losgehen.“ Außerdem könnten sich die meisten Bundesländer – außer Bayern – einen anteiligen Betrag in dieser Größenordnung gar nicht leisten.

Bayern und Baden-Württemberg zahlen derzeit nach Angaben des Kirchenrechtlers Thomas Schüller regelmäßig die höchsten Staatsleistungen an beide Kirchen. „Wichtig ist, dass der Bund die Leistungsfähigkeit der Länder bei der Festlegung der Höhe berücksichtigt“, heißt es aus Baden-Württemberg zur Ablösesumme. Auch in anderen Bundesländern ist man skeptisch.

Kein konsensfähiges Ablöse-Modell

„Im Moment verweisen mehrere Länder darauf, dass sie nicht genug Geld haben, um die Kirchen auszuzahlen. Dieses Thema hat auch bundesweit sicherlich ein gewisses antikirchliches Verhetzungspotenzial“, erklärt der religionspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Thomas Rachel (CDU). Er spricht von einer „Planlosigkeit der Ampel bei ihrem Vorhaben, die Staatsleistungen abzulösen“.

Die religionspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sandra Bubendorfer-Licht, appelliert „an die Länder und an die Ministerpräsidenten, die sich in der Vergangenheit unter Berufung auf fadenscheinige Argumente gegen den Prozess ausgesprochen haben, sich der Ablösung nicht länger zu verweigern“.

Die FDP-Politikerin betont: „Die Bürger können aus guten Gründen nicht mehr verstehen, warum die Kirchen aus allgemeinen Steuermitteln auch von Konfessionslosen und Anhängern anderer Religionen weiterhin diese Zahlungen erhalten sollen.“

Einnahmequellen der Kirchen

Kirchensteuer

Die Kirchensteuer ist die Haupteinnahmequelle der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland, die mehr als die Hälfte ihrer jeweiligen Haushalte ausmacht.

Nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) nahmen die evangelische und die katholische Kirche mit rund 13,3 Milliarden Euro zwar nominal anderthalb Prozent mehr ein als 2022 (13,1 Milliarden Euro). Doch durch die Teuerung hat sich laut IW die Lage für beide verschlechtert. Die katholische Kirche kam laut den Berechnungen auf sieben, die evangelische auf 6,3 Milliarden Euro.

Angesichts von massenhaften Austritten, Steuerreformen, wachsendem Altersdurchschnitt und Arbeitslosigkeit müssen Katholiken wie Protestanten jedoch langfristig mit weniger Geld rechnen.

Unter den gesetzlichen Abgaben ist auf einer Abrechnung die Kirchensteuer ausgewiesen. Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Dotationen

Mit sogenannten Dotationen (Zuwendungen) – also Staatsleistungen – in Höhe von rund 550 Millionen Euro haben 14 der 16 Länder – außer Hamburg und Bremen – aus Steuermitteln die evangelische und katholische Kirchen finanziert.

Dies hat historische Gründe: Als die Reichskirchen 1803 im Zuge der Säkularisation – des sogenannten Hauptschluss der außerordentlichen Reichsdeputation, beschlossen am 25. Februar 1803 in Regensburg – enteignet und ihre Besitztümer den weltlichen Fürsten zugeschlagen wurden, verpflichtete sich der Staat zu „Pachtersatzleistungen“. Seitdem sichert er zum Teil die Besoldung des Klerus und kommt für bestimmte Baulasten auf.

Die Weimarer Verfassung von 1919 und das Grundgesetz von 1949 haben diese Regelung übernommen, zugleich aber die Ablösung dieser Staatsleistungen angemahnt.

Einmalzahlung käme sehr teuer

Die Zahlungen könnten gegen eine einmalige Entschädigung aufgehoben werden. Als Einmalzahlung wurde beispielsweise der zehnfache Jahresbetrag – derzeit also rund 5,5 Milliarden Euro – vorgeschlagen. Rechtsexperten halten eher das 20- oder 25-Fache der Jahresüberweisung als Einmalzahlung für erforderlich. Zahlen müssten die Länder. Das aber ist kaum zu leisten.

Ohne die Einwilligung der beiden Kirchen können die Uralt-Verträge ohnehin nicht geändert werden. Zwar streben Katholiken und Protestanten eine Entflechtung des Verhältnisses zum Staat an, aber nur ohne finanzielle Einbußen.

Sonstige Finanzquellen

Zu den kirchlichen Finanzquellen gehören auch Gemeindegaben wie Kollekten, Spenden, Schenkungen oder Gemeindebeiträge. Daneben gibt es Einnahmen aus Dienstleistungen und Vermögen wie Mieten, Erbbauzinsen, Zinseinnahmen, Pachten, Kapitalerträgen, Betriebskostenerstattungen, Darlehensrückflüssen oder Firmenbeteiligungen.

Die Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen an die Kirchen sind unüberschaubar. So erhalten sie Finanzspritzen für den Betrieb von Kindergärten, Schulen und Fachhochschulen. Der kirchliche Eigenanteil beträgt oft kaum mehr als zehn Prozent. Krankenhäuser und Altenheime werden – wie bei anderen Trägern – fast komplett über Kranken- und Pflegekassen finanziert.

Hinzu kommen Zuschüsse für die Seelsorge bei Bundeswehr, Polizei oder im Gefängnis, für Kirchen- und Katholikentage, Subventionen für den Bau und die Renovierung kirchlicher Gebäude. Nicht zu vergessen Steuergelder für Hilfs- und Missionswerke.